Unter #flächenglühen stellt Volly Tanner im Auftrag von Kreatives Sachsen, dem Sächsischen Zentrum für Kultur und Kreativwirtschaft, regelmäßig Kreativschaffende aus städtischen sowie ländlichen Räumen Sachsens vor. Im Rahmen von Interviews erfragt er die Gründungsintensionen, Unternehmensphilosophien sowie Herausforderungen und Chancen aus der Innenperspektive.
Dieses Mal wird Alexandra Baum vorgestellt, die mit Suse Brand in Leipzig ein unknackbares Fahrradschloss für den internationalen Markt produziert.
Du bist gemeinsam mit Deiner Geschäftspartnerin Suse Brand Vorwärtsradelnde mit tex—lock. Was ist das denn konkret, was Ihr da unter die Menschen bringen wollt? Und warum gibt es Bedarf?
Tex—lock ist ein textilbasiertes Fahrradschloss. Genauer gesagt ein Seil aus vielen Lagen, bestehend aus unterschiedliches Hightech-Fasern, die feuerfest, reißfest und schnittfest sind. An das tex—lock Seil werden Ösen montiert, die dann mittels externem Minibügelschloss zusammengeschlossen werden. Der Vorteil unserer Innovation liegt im unschlagbar niedrigen Gewicht, schöner Haptik und Optik sowie guter Handhabbarkeit. Denn niemand mag die herkömmlichen Fahrradschlösser aus Metall wirklich. Sie sind starr, meistens zu kurz und zerkratzen obendrein den Lack des Fahrrades. Und ein Hingucker sind sie auch nicht. All diese Gründe sprechen dafür, dass Bedarf an unserem Produkt ist – und die bislang über Crowdfunding und Pre-order-Onlineshop generierten 4.500 Vorbestellungen sprechen da ja für sich. Irgendwie haben wir einen Nerv getroffen…
Solch eine Idee hat ja auch immer etwas mit dem persönlichen Weg zu tun. Fahrradschlösser aus Hightech-Fasern impliziert, dass eine von Euch beiden schon mit Hightech-Fasern gearbeitet hat. Stimmt das? Wenn ja, wer und was ganz konkret?
Wir beide kommen aus dem Design, genauer der Produktentwicklung speziell mit technischen Textilien. Ich bin seit 2003 selbständig und habe Produkte im Kundenauftrag entwickelt, die technische Textilien in deren vielfältige Funktionen im Fokus hatten. Zum Beispiel sind das Kappen für die Gehirnstrommessung, Alterssimulationsanzüge oder T-Shirts mit Sensoren zur Überwachung von Patienten gewesen. Suse stieß 2011 als Freiberuflerin hinzu. In unseren Projekten fühlten wir uns oft als Botschafter – wir zeigten unterschiedlichsten Branchen die faszinierenden Möglichkeiten von Textilien auf, und dass sie durch ihr leichtes Gewicht bei robuster Funktionalität für viele Anwendungen taugen, die noch gar keiner vorher im Sinn hatte. Irgendwann im Elternzeitjahr für meinen ersten Sohn 2013 kam mir die Idee mit dem textilbasierten Fahrradschloss – und ließ mich nicht mehr los. Der Wunsch, ein eigenes Produkt mal so richtig von A bis Z zu entwickeln und zu vermarkten, spielte damals sicherlich auch eine entscheidende Rolle. Ich weihte Suse in meine Idee ein und seitdem haben wir uns zusammen auf den Weg begeben, diese Idee in die Tat umzusetzen. Zunächst passierte das natürlich parallel zu den laufenden Projekten.
Ein Produkt, besonders eins wie Eures, das ja mit ungewohnten Materialien agiert, auf den Markt zu bringen, heißt ja zu allererst auch Vorfinanzierung. Auf einem langen Weg. Wie seid Ihr dieses Problem angegangen? Gab’s bei Dir zu Hause nur noch Wasser und Toast?
Ja, wir sind an der Entwicklung jetzt zweieinhalb Jahre dran. Irgendwann kann man das auch nicht mehr als Paralleljob machen, schon gar nicht mit zwei kleinen Kindern… Eine Riesenhilfe hierfür war das EXIST Stipendienprogramm des Bundes, das dem Team 12 Monate Lebensunterhalt finanzierte. Und bis Juli schloss sich ein weiteres Stipendium, vergeben vom Freistaat Sachsen, an. Sogar ich konnte davon profitieren, obwohl meine Studienzeit ja nun schon einige Jährchen zurückliegt. So finanziell abgesichert, konnten wir uns voll und ganz in die Arbeit stürzen: Businessplan erstellen, Entwicklung vorantreiben, Serienproduktion vordenken, Investor suchen (und finden!). Und dabei zwar auch Wasser und Toast (Vollkorn) zu uns nehmen – aber nur freiwillig und aus diätischen Gründen. Nein, im Ernst – das sind sehr wertvolle Instrumente, die hierzulande Start-ups helfen solch risikoreich Innovationen, aus der Taufe zu heben.
Zu Beginn erwähntest Du Eure Crowdfunding-Aktion, die ja phänomenal einschlug. Was konkret habt Ihr damit finanzieren wollen? Wie lief die Aktion? Und was waren Eure Angebote gegenüber der Crowd?
Die Kampagne war dazu bestimmt, uns die Produktion der tex—lock Produkte vorzufinanzieren. Man darf den Aufwand im Vorfeld nicht unterschätzen: Video erstellen, Inhalte schaffen, und während der Kampagne zeitnah die Fragen der Unterstützer beantworten. Auch dafür mussten wir natürlich in Vorleistung gehen. Parallel verfolgten wir, wie alle, die so etwas tun, auch und zuallererst das Ziel, den Markt zu befragen, ob er das Produkt denn überhaupt haben will. In unserem Fall war die Antwort eindeutig: Das Finanzierungsziel von 50.000 Euro wurde in nicht einmal 48 Stunden erreicht. Die Kampagne spielte nach 45 Tagen knapp 280.000 Euro ein, ca. 2.200 Unterstützer aus aller Welt bestellten das Produkt vor und versetzten uns in die Lage, mit dem eingenommenen Geld unsere Produktion aufzubauen. Im Gegenzug boten wir die Produkte im Bundle zu sehr attraktiven Frühbucherpreisen an, die es im Handel oder in der noch bis November 2017 geschalteten Pre-Order Plattform so nicht mehr geben wird. Nach einigen Verzögerungen aufgrund der gigantischen Bestellmengen sind wir nun soweit, die Serienproduktion zu starten und – wenn auch einige Monate verspätet – die Unterstützer zu beliefern.
Crowdfunding ist ja fanbasiert, wenn man das so sagen kann. Wer ist denn diese “Crowd” bei Euch und wie habt Ihr die, ganz speziell für Euer Projekt, erreicht? Erzähl doch mal bitte etwas aus dem Nähkästchen.
Das war überhaupt die wichtigste Erkenntnis: ohne Fans kann man bei Crowdfunding einpacken. Unser großes Glück war, dass wir über eine Bewerbung beim futuresax-Wettbewerb die Anfrage einer Journalistin erhielten, die für die Kampagne „So geht sächsisch“ des Freistaates auf der Suche nach Ideen und Startups war. So gelangte ein Foto und ein Dreizeiler von tex—lock ins Beiheft von großen Zeitungen wie ZEIT, Handelsblatt oder FAZ. Das Echo war verblüffend: aufmerksame Leser schrieben uns begeistert, wann man das tex—lock denn kaufen könne und meldeten sich bei unserem Newsletter an. Diese circa 1.000 Leute waren die Fanbasis unserer Kampagne. Immerhin haben wir es nebenbei gesagt geschafft, auf die Kickstarterplattform über 900 Leute zu locken, die vorher noch nie dort ein Projekt unterstützt hatten – einfach, weil es die einzige Möglichkeit für sie war, das Produkt vorzubestellen. Danke an dieser Stelle an alle Unterstützer der ersten Stunde: Eure Geduld wird bald belohnt. Die Serienproduktion läuft an!
Ihr habt tex—lock extrem professionell aufgezogen, von Anfang an absolut fokusiert gearbeitet. Das ist ja nicht die Norm. Wie siehst Du die Szene von ihrer Aufstellung her in Sachsen? Seid Ihr allein auf weiter Flur mit Eurer Professionalität? Lass Deinen Gedanken gern einmal freien Lauf.
Nun ja, wenn man Design studiert hat, ist man auf Professionalität hinsichtlich Präsentation, Produktperformance und Corporate Identity (CI) getrimmt – und das ist nur einer der Vorteile dieses Studiengangs… Und aus der langjährigen Erfahrung als Freiberuflerin habe ich die Fokussierung auf ein Thema / Projekt geradezu gesucht. Es ist zwar einerseits toll, immer neue Herausforderungen anzunehmen und Projekte unterschiedlichster Art parallel zu betreuen, aber sich mal von A bis Z um ein Produkt (und dann auch noch das Eigene…) zu kümmern, war ein lang gehegter und gewachsener Wunsch.
Ehrlich gesagt, ich kenne die Designszene in Sachsen nicht ganz so genau. Das mag daran liegen, dass ich immer mit einem Bein in der Textilindustrie stand – also eine Sprache mit den Webern, Konfektionären, Elektronikern, eben den Umsetzern der Ideen finden musste. Was Industriedesign betrifft, arbeiten wir in Sachsen mit ganz hervorragenden Partnern zusammen – die hochprofessionell und dazu noch ausgesprochen sympathisch für und mit uns arbeiten. Design ist ja so ein weites Feld… Die künstlerisch arbeitenden und weniger industriebezogenen Designer schätze ich sehr, aber das war nie meine Welt. Für mich kommt es sehr stark auf die Herausforderung an, eine Funktionalität am Produkt handhabbar, ästhetisch ansprechend – aber eben vor allem auch serienproduzierbar zu machen. Vielleicht gibt es in diesem speziellen Feld weniger Designer in Sachsen, und deshalb empfindest Du uns so „allein auf weiter Flur“?
Es gab ja mittlerweile auch personelle Wechsel im Team. Auch ein Umstand, der relativ normal ist im Kreativbereich. Was waren denn die Gründe bei Euch? Und wer ist nachgezogen?
Ja, am Anfang waren wir drei Gründerinnen, eine hat uns verlassen. Es passte auf beruflicher Ebene nicht wie ursprünglich vorgesehen – das passiert sowohl im Kreativbereich, aber eben auch ganz besonders in der Start-up Szene. Suse und ich arbeiten schon länger zusammen, da hat sich über die Jahre ein bestimmter Arbeitsmodus entwickelt, eine ähnliche Denke und Herangehensweise an Themen.
Für den Vertrieb haben wir jetzt einen alten Hasen, der 20 Jahre Vertriebserfahrung im Bereich Fahrrad mitbringt – ein glücklicher Umstand. Er ist jedoch kein Gesellschafter. Auch in diesem Bereich lernen wir dazu.
Als ich in die Selbständigkeit ging, hatte ich im Vorfeld Training bei einer Motiviererin. Die sagte immer: Wenn Du Dich auf dem Weg zur Bergspitze befindest, denke schon 20 Meter vor dem Ziel an die Schritte, die Du danach gehen willst, dann bleibst Du immer oben. Jetzt meine Frage an Dich: Was kommt nach tex—lock? Ihr werdet ja jetzt nicht Euer ganzes Leben lang Fahrradschlösser kreieren und verkaufen.
Nun ja. Zunächst müssen wir an tex—lock ja noch ganz schön ackern, dass unser Plan aufgeht. Mit ein paar tausend vorbestellten tex—locks werden wir uns langfristig nicht am hart umkämpften Markt halten können –da gehen sicher noch zwei, drei Jahre ins Land, bis wir hier mal durchatmen können. Parallel soll das Produkt natürlich weiter entwickelt werden. Zukünftig wollen wir beispielsweise die textile Struktur nutzen, um das tex—lock mit smarten Funktionen wie Alarm oder Tracking zu versehen.
Ein noch viel entscheidenderer Aspekt ist jedoch, dass wir mit dem Mehrlagenaufbau ja eher eine Technologie und kein konkretes Produkt erschaffen haben. Somit gibt es noch eine Fülle an Anwendungen, denen wir uns nach dem Fahrradschloss widmen möchten. Überall da, wo das Seil in seiner Widerstandsfähigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht und hoher Flexibilität der Metallkette überlegen ist, könnte eine industrielle Anwendung lauern. Im Logistik- und Transportbereich genauso wie beim Anlagenbau oder im Bootssicherungsbereich. Da ist noch viel zu tun. Wir werden also weiterhin Produktentwicklung betreiben, wenn ein Geschäftsfeld auskömmlich läuft.
Perspektivisch – wer ist Eure Zielgruppe für Euer Produkt? Ist der internationale Markt für Euch interessant und wenn ja, wie wollt Ihr auf diesen um Reichweite buhlen?
Unsere Zielgruppe sind all jene, die Fahrradfahren als Lifestyle begreifen, Wert auf Ästhetik und Gewichtsreduzierung legen und denen Innovationen und neue Materialien gut in den Kram passen. Natürlich ist der internationale Markt für uns interessant, sonst hätten wir ja nicht auf der Kickstarter-Plattform gestartet. Wenn es in Deutschland gut läuft, sollen ab 2018 auch unsere europäischen Nachbarn bedient werden, später dann auch die USA und andere ganz weit entfernte Gegenden. Das erledigen in den Ländern aber so genannte Distributoren, die sich vor Ort um alles kümmern, die also die tex—lock Schlösser selbst einkaufen und dann auf eigene Rechnung verkaufen.
Was ist das ganz Besondere an Eurer Art zu arbeiten. Ihr seid ja im Kreativbereich, aber auch in der Vermarktung tätig, anders als Lohnabhängige auch noch selbständig. Wie fühlt sich das an?
Das fühlt sich gut und richtig an. Ich finde es spannend, sich in Themen wie Marketing, Finanzen oder Patentrecht einzuarbeiten – mit Hilfe von Profis, versteht sich. Alle Fäden in der Hand zu halten und dabei das Gefühl zu haben, es überfordert einen gerade alles, kennen wir natürlich auch. Aber es überwiegt die tiefe Zufriedenheit, die Dinge selbst gestalten zu können und eben nicht nur in kreativer, sondern in jeglicher Hinsicht.
Und warum lebst und arbeitest Du in Sachsen, konkreter Leipzig? Es gibt ja auch Steuerparadiese mit Sonnenschein und Internet.
In Leipzig fühlen meine Familie und ich uns sehr wohl. Es ist wohl die Mischung aus hoher Lebensqualität, geistigen und realen Freiräumen sowie eines gesunden „Auf-dem-Boden-geblieben-seins“, dass diese Stadt für alle (und auch mich) bereithält und so attraktiv macht.
Welche Probleme siehst Du für Kreative – besonders in Sachsen?
Ich sehe keine Probleme – im Gegenteil: ich bin immer wieder überrascht, was für die Kreativwirtschaft in letzter Zeit getan wird. Wer einen Plan und ein Ziel hat – egal, in welcher Disziplin – ist in Sachsen meines Erachtens gut aufgehoben.
Was wünschst Du Dir da von der Politik in Land und Stadt?
Zuhören und mit dem Gelernten die Inhalte weiter verbessern. Das macht die Wirtschaftsförderung in Stadt und Land, glaube ich, schon ganz gut. Außerdem ist das ja kein Wunsch speziell an die Politik, sondern da dürften sich wohl alle angesprochen fühlen. Für die Landespolitik würde ich mir wünschen, dass alberne Grabenkämpfe zwischen Städten oder Regionen mal zu den Akten gelegt werden. Der Standort Sachsen konkurriert mit ganz Europa, eigentlich der ganzen Welt. Da sollte der Blick mal lieber ein Stück über den Tellerrand hinausgehen. Von ganz weit draußen sieht man, wenn überhaupt, nur den Standort Sachsen, und der sollte sich als wirtschaftliche und kulturelle Einheit fühlen und darstellen.
Wovor würdest Du Kreative immer zuerst warnen und was sind Deine positiven Erfahrungen als Kreative?
Ich würde immer davor warnen, Kreativität nicht als wirtschaftliches Tun zu begreifen. Das Eine schließt das Andere nicht aus. Wirtschaft ist spannend, aber das musste ich auch erst lernen. Meine positiven Erfahrungen als Designerin sind immer wieder: Man gilt sowieso als Exot, also kann man sich die „Querschüsse” und das ja durchaus fruchtbare “Thinking out of the Box” viel eher erlauben.
Bist Du eigentlich Mitglied im Kreativen Leipzig e.V.? Kennst Du da Leute? Was erwartest Du von deren Arbeit?
Nein, ich bin (noch) kein Mitglied. Ich kenne da leider keinen, das wird sich aber mit Sicherheit schnell ändern. Ich bin sehr gespannt, was mit vereinten Kräften möglich wird.