Die Interviewreihe #flächenglühen stellt regelmäßig Kreativschaffende aus städtischen und ländlichen Räumen Sachsens vor. Erfragt werden Gründungsintensionen, Unternehmensphilosophien sowie Herausforderungen und Chancen aus der Innenperspektive.
Dieses Mal spielt der Chemnitzer Frank Müller die Hauptrolle. Er gestaltet Kommunikation mit seiner Agentur Haus E. Das Interview führte dieses Mal Christina Wittich.
Du machst Werbung. Wie bist Du dazu gekommen?
Angefangen hat alles vor vielen, vielen Jahren als Nebenerwerb zum Studium, so im Jahr 2000 war das ungefähr. Ich habe zuerst ganz allein Websites gestaltet, dann mit drei Informatikern zusammen, später haben wir gemeinsam eine Software-Firma gegründet.
Hast Du Informatik studiert?
Ich habe Soziologie, Psychologie und Pädagogik studiert.
Wie hat es sich dann ergeben, dass Du, anstatt zu unterrichten, in die Kommunikationsbranche gegangen bist?
Ich hatte etwas angefangen und das hat sich dann einfach weiterentwickelt. Am Anfang bestand nur die Notwendigkeit, Geld zu verdienen und im Zuge dessen habe ich gelernt, wie ich das besser machen kann. Dann habe ich andere kennengelernt, die das noch besser können und habe mich mit denen zusammengeschlossen. Dadurch hat sich das weiter entwickelt und ich habe andere Aufgaben übernommen, mehr Verantwortung, habe mir wieder bessere Leute gesucht und so kam eins zum anderen. Es war ganz hilfreich, dass wir das in einer geschützten Sphäre angefangen haben. Der Ernst kam erst mit der Zeit. Wir hatten nicht gleich von Anfang an die Idee, wir müssen jetzt die beste Werbeagentur sein.
Ihr durftet auch mal scheitern.
Das auf alle Fälle. Es gab mehrere Umfirmierungen und Neukonstellationen. Ich denke, so lange niemand in einer Lebensphase ist, wo er ein Haus und drei Kinder versorgen muss und dadurch verpflichtet ist, regelmäßig zu liefern, kann er sich ausprobieren und auch mal ne Delle verkraften.
Hast Du Dein Studium überhaupt abgeschlossen oder bist Du nahtlos vom Nebenjob übergegangen in die Hauptberuflichkeit?
Das war damals die Zeit, wo es noch Diplome gab – ich hab eins.
Ihr habt angefangen mit Websites, wohin hat sich das entwickelt, was bietet Ihr heute an?
Es fängt bei der strategischen Beratung an, bei der Positionierung von Institutionen. Wir betreuen viele Firmen, Hochschulen, Vereine, Verbände und Regionen. Wir helfen, zu definieren, wo sie hinmöchten. Daraus ergibt sich die Ableitung, wie wir das mit Kommunikation erreichen und unterstützen können.
Kannst Du da ein paar Highlights rausgreifen? Wem habt Ihr denn schon auf die Sprünge geholfen?
Letztes Jahr haben wir für die Dresden Marketing GmbH die Kreation der touristischen Jahresthemenkampagne entwickelt. Für das Museum für Kommunikation in Frankfurt/Main haben wir zusammen mit SEIWO Technik die neue interaktive Dauerausstellung umgesetzt.
Für Volkswagen in Leipzig durften wir eine Imagekampagne realisieren und für die Wirtschaftsförderung Erzgebirge ein sehr unterhaltsames Magazin. Aktuell kommunizieren wir die vielen Projekte des 875-jährigen Jubiläums von Chemnitz.
Ihr arbeitet am Bild Eurer eigenen Region. Zumindest entsteht dieser Eindruck. Sind Eure Auftraggeber vor allem Kommunen und öffentliche Einrichtungen?
Wir arbeiten bewusst für jeden und versuchen, unsere Themen so abwechslungsreich zu halten. Zur Hälfte sind wir regional unterwegs, die andere Hälfte national. Hier in der Region gibt es ein Thema, das alle vereint: Alle suchen Mitarbeiter, Fachkräfte, Studierende und so weiter. Insofern hat sich bei uns der Fokus schon ein bisschen verschoben in Richtung, ich nenn es mal „Menschenmarketing“. Wie spricht man junge Leute an, die noch die Freiheit haben, sich zu entscheiden, was sie aus ihrem Leben machen? Das lösen wir sowohl für Unternehmen, als auch für Kommunen, als auch für Hochschulen. Mittlerweile führen wir eigene Studien zu den Wünschen und Plänen des Nachwuchses durch. Wir beraten die Unternehmen, mit welchen Argumenten sie überhaupt nach draußen gehen sollten. Das, was die 70-jährigen Firmenlenker heute noch dufte finden und toll an ihrer eigenen Firma, ist vielleicht gar nicht mehr so aktuell für 20-Jährige.
Oder von ihrem Leben ganz allgemein und dem Platz, den Arbeit darin einnehmen soll.
Tatsächlich kommt es darauf an, dass die Arbeitswelt, die die Mitarbeiter braucht, nicht nur besser dargestellt, sondern tatsächlich auch besser gestaltet wird. Da haben wir uns nach und nach einen Namen gemacht, dass Rücksichtnahme nicht nur behauptet wird, sondern auch umgesetzt sein muss. Ansonsten machen wir vielleicht noch eine gute Kampagne um Personal zum Bewerbungsgespräch zu bringen. Wenn aber das Bewerbungsgespräch geführt wird von einem Personaler, der gedanklich noch 20 Jahre zurück ist, unterschreibt trotzdem niemand den Arbeitsvertrag.
Ihr arbeitet auch bundesweit. Warum seid Ihr in Chemnitz geblieben und nicht in eine Stadt gegangen, die vielleicht verkehrstechnisch besser angebunden, vielleicht ein bisschen hipper oder urbaner ist? Was hält Euch hier?
Heimat und Bequemlichkeit spielen sicher eine große Rolle. Wir haben unsere Arbeit hier angefangen und es gibt auch außerhalb der Arbeit gute Gründe, die uns in der Stadt halten: Freunde, Beziehungen, Kulturangebote – die wir auch nicht ohne Not in Frage stellen wollen. Wir bearbeiten sehr viele sächsische Themen, wo es von Vorteil ist, sich auszukennen, die Akteure zu kennen, die Themen und die Kanäle.
Welche sächsischen Themen genau?
Die Staatsmodernisierung im Freistaat Sachsen, zum Beispiel, haben wir lange Zeit fürs Justizministerium, dann für das Innenministerium betreut. Sowohl für die Verwaltung als auch für die Agenturen spielt die räumliche Nähe zum Kunden eine immer kleinere Rolle. Die Kommunikation zwischen Agenturen und Auftraggebern ist ja weitestgehend digital. Selbst Druckdaten werden einfach hochgeladen und dann am Rechner angeguckt. Wir brauchen diese persönliche Nähe zum Kunden zumindest nicht immer und nicht jeden Tag.
Die von Dir schon angesprochene Digitalisierung und der Umgang mit dieser Entwicklung ist ein Aspekt der Arbeit der Kultur- und Kreativwirtschaft. Was ist für Dich daneben das Besondere an der Branche?
Für mich ist es der Themenmix. Wenn wir die Kommunikation für einen Kunden gestalten sollen, bekommen wir die spannenden Betriebsgeheimnisse verraten, bekommen einen tiefen Einblick in das Business anderer Leute, in die Beziehungen anderer Leute zueinander. Egal, ob wir das zehn- oder 20 Jahre lang machen, es wird thematisch nicht langweilig. Außerdem haben wir als Agentur zwar Festangestellte, arbeiten aber dennoch mit den Netzwerken zusammen. Wir haben sehr viele Spezialisten, sehr viele Freelancer dabei. Die bringen selbst noch eine eigene Biographie mit, einen eigenen Blick, eine eigene Expertise. Das macht es einfach wunderbar spannend. Wir greifen nicht in die Schublade und holen ein fertiges Konzept raus. Die Zusammenarbeit mit den Kultur- und Kreativwirtschaftsvereinen in Chemnitz, Dresden, Leipzig und dem Erzgebirge hilft da sehr, also dass wir so Akteure aus anderen Städten kennenlernen, denen wir sonst höchstens zufällig begegnen würden.
Welche Erwartungen hast du an den Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft – als Teil der Branche und zugleich als einer der Vorstände des Vereins Kreatives Chemnitz?
Der Landesverband führt deutlich professionalisiert, mit Angestellten und mit viel mehr Energie fort, was die Vereine vor Ort angefangen haben. Die Sichtbarmachung der Branche ist ein großes Thema, die Beeinflussung der Politik, die Neuausrichtung von Fördermitteln. Da ist sehr viel Expertise und Erfahrung im Landesverband vorhanden, gleichzeitig auch eine Nähe zur Politik. Der Verband kann helfen, dass auch Fördereinrichtungen die strukturelle Benachteiligung der Kleinteiligkeit der Branche reduzieren, sowohl, was Programme betrifft, als auch deren Umsetzung. Das andere ist die Beratung der Akteure in den Themen, zum Beispiel Finanzen, Recht, Steuern, Formalitäten, also all das, worauf die Kreativen keinen Bock haben. An genau der Stelle bekommen sie die Unterstützung und Vermittlungsleistung. Die wertvollste Arbeit des Verbands ist es, die Akteure greifbar zu machen und zusammenzuführen. Das Einsammeln der Kreativen ist ein wichtiger Baustein, um unsere Branche vergleichbar zu machen mit der Automobilindustrie oder der chemischen Industrie.
Welche Probleme haben die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft aus Deiner Perspektive?
Die Problemlage ist sehr vielfältig und unterscheidet sich vielleicht auch zwischen den Städten. In Chemnitz haben wir, im Gegensatz zu Dresden oder Leipzig, den Vorteil, dass wir noch bezahlbare Räume bereitstellen können. Die Probleme der Akteure liegen oft in der Finanzierung, der Anschubfinanzierung, der Projektfinanzierung. Die Banken entwickeln erst nach und nach ein Verständnis dafür, dass der Kreative eben keinen 20-Seiten-Business-Plan schreiben kann, in dem schon das Ergebnis seiner Entwicklungsarbeit feststeht. Wir verbessern Wettbewerbsbedingungen bei Ausschreibungen, indem wir die Ausschreibenden schulen, weniger Teilnehmer einzuladen, die Teilnahme zu vergüten, faire Bedingungen zu schaffen. Das sind alles Hürden, die sich nicht von heute auf morgen nehmen lassen.
Welche Wünsche hast Du an die Politik?
Tatsächlich haben wir einen Status erreicht, bei dem sich Politik und die Interessenvertreter gegenseitig zuhören und gemeinsam an Lösungen für die bestehenden Probleme arbeiten. Durch Kreatives Sachsen – Sächsisches Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft erhalten unsere Aktivitäten sowohl eine umfangreiche finanzielle Unterstützung durch den Freistaat Sachen als auch die notwendige Aufmerksamkeit anderer Institutionen. Dadurch sind zwar noch nicht alle Probleme gelöst, aber es wird gemeinsam daran gearbeitet.
Welche Wünsche hast Du an die Stadt?
Hier vor Ort haben wir den Vorteil, dass sich die Stadt Chemnitz zunehmend auf unsere Bedarfe einlässt. Chemnitz will sich als Kulturhauptstadt bewerben. Damit bekommt die Kultur- und Kreativwirtschaft eine andere Aufmerksamkeit und die Stadt wird sich unserer Bedeutung für den Standort bewusster.
Ich glaube, wir haben für Chemnitz einen geeigneten Weg gefunden, wie sich Stadt und Kreative einander annähern können. Zusammen mit der Stadt und einigen Tochterunternehmen, der Chemnitzer Wirtschaftsförderung sowie anderen Vereinen sind wir in drei sehr erfolgreichen Großprojekten aktiv. Unser Verein stellt mit städtischer Finanzierung einen eigenen “Stadtteilmanager Wirtschaft/Kreativwirtschaft”, der die kreativen Akteure mit denen aus anderen Branchen und Institutionen zusammenbringt. Wir haben mit “KRACH” gemeinsam ein Förderprogramm zur Ansiedlung und Anschub-Unterstützung für die Kreativwirtschafts-Akteure entwickelt. Und wir stellen gemeinsam und schon zum zweiten Mal die “Maker Faire Sachsen” auf die Beine. In der gemeinsamen Projektarbeit lernen sich die Akteure ziemlich gut kennen und entwickeln ein Verständnis für die Haltung “der Anderen”. Und das wiederum baut die Mauern in den Köpfen auf allen Seiten (auch unserer) nach und nach ab.
Was willst Du zukünftig erreichen, einerseits als Akteur, andererseits als Interessenvertreter der Kultur- und Kreativwirtschaft?
Für das Haus E wollen wir die Abwechslung bei den Themen beibehalten. Wir sind gut bei Idee, Strategie und Konzept, insofern wünschen wir uns Kommunikationsaufgaben, die auch eine gewisse Herausforderung mit sich bringen und nicht nur anhand der Ästhetik bewertet werden. Für die Sächsischen Vereine ist im Moment aus meiner Sicht entscheidend, alle Akteure zu erreichen und mitzunehmen, also auch die im ländlichen Raum. Dort gibt es noch eine ganze Menge Leute, die coole Ideen und Ansätze haben, die sie im Zweifel aber gar nicht erst in Angriff nehmen, weil der anfängliche Aufwand sehr hoch ist.
Was möchtest Du anderen Kreativschaffenden mit auf den Weg geben?
Am Ende ist es das Wesen des Kreativen, sich auszuprobieren, mit einer großen Überzeugung daran zu glauben, dass das schon gelingt, auch keine Angst davor zu haben und zu akzeptieren, dass es auch mal schiefgehen darf. Und dann geht es eben auch mal schief. Und dann folgt der nächste Versuch.
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