Seit März 2020 wirken sich die Corona-Krise und ihre Folgen auch auf die Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen aus. Waren es anfänglich die mit Schließungen, hygienebedingten Einschränkungen und Planungsunsicherheit verbundenen Herausforderungen, welche die Branche trafen, sind es nun mehr und mehr Spät- bzw. Langzeitfolgen, die sich für viele der 12 Teilbranchen in Sachsen bemerkbar machen. Dabei treten in unterschiedlichen Konstellationen Probleme zu Tage, die nicht erst seit Corona vorhanden waren, aber durch die Krise und ihre Folgen verschärft wurden.
Besonders auffällig ist demzufolge ein Personalmangel im Event- und Musikbereich, der jetzt – im Jahr 2022 – einen theoretisch möglichen Normalbetrieb nicht zulässt. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass es auch in anderen Teilbranchen der sächsischen Kultur- und Kreativwirtschaft aktuell Herausforderungen bei der Gewinnung von Personal, Fach- bzw. Arbeitskräften gibt.
Die vorliegende fachliche Stellungnahme betrachtet alle 12 Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen und versucht auf Grundlage von Studien und zwölf Expert:inneninterviews eine Einschätzung der aktuellen Situation, aber auch der zukünftigen Entwicklung zu geben. Eine gesonderte Betrachtung aufgrund der aktuellen Betroffenheit erfolgt für die Eventbranche.
Der Monitoringbericht der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung 2020 führt die Verfügbarkeit von Fachkräften als ein zentrales Standortmerkmal für Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft auf (BMWi, 2020). Ebenso spielt die Fachkräfteverfügbarkeit eine wichtige Rolle bei der Herausbildung von Clustern sowie cross-sektoralen Ökosystemen (ebenda). Vor diesem Hintergrund bilden Fachkräfte die zentrale Ressource für die wissensbasierten Geschäftsmodelle der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Darüber hinaus nimmt die Bedeutung kreativer Berufe auch in klassischen Unternehmen zu (BMWK: 2021). So erlebten die dem Kultur- und Kreativbereich zuordenbaren Berufsbilder im Zeitraum 2013 bis 2019 ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum von 27% (ebenda). Die pandemiebedingten negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt fallen auch deswegen im Nachgang betrachtet deutlich schwächer aus als befürchtet. Es ist demnach sogar der gegenteilige Trend festzustellen, dass die Verfügbarkeit von Arbeitskräften im Verhältnis zu offenen Stellen gesunken ist. Auch der Deutsche Kulturrat spricht von einem Fachkräftemangel, der sich schon seit einigen Jahren in bestimmten Teilbranchen abzeichnet (Deutscher Kulturrat 2021). Dieser habe sich nun durch die Corona-Krise noch verstärkt.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK: 2022) sieht bedingt durch die Corona-Pandemie den Fachkräftemangel als eine langfristige strukturelle Herausforderung für die Kultur- und Kreativbranche. Demnach haben insbesondere die veranstaltungsbezogenen Teilmärkte mit einem Verlust an Fach- und Arbeitskräften zu kämpfen. Besonders kleinteilige Strukturen drohen dabei wegzubrechen und sich in der Post-Corona-Phase nicht ausreichend wirtschaftlich zu erholen. Auf der anderen Seite sind insbesondere Bereiche mit hochspezialisierten Fachkräften (Architektur, Werbung und Software-/ Games-Industrie) trotz der aktuellen Situation noch stark bemüht, Arbeitnehmer:innen zu halten, um von einem zu erwartenden wirtschaftlichen Aufschwung nach der Pandemie zu profitieren. Dabei befinden sich die Unternehmen schon jetzt in starker Konkurrenz um Fachkräfte in anderen Wirtschaftsbereichen, die insbesondere durch die Digitalisierung zunimmt (BMWK: 2022).
Der bundesweite Trend spiegelt sich in verstärkter Weise auch in Sachsen wider. Nahezu alle Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft im Freistaat sind aktuell stark von einem Personal-, Fach- und Arbeitskräftemangel betroffen.
Neben der Softwareindustrie, dem Werbemarkt und der Designwirtschaft, die bereits seit längerem Probleme im Recruiting von Fachkräften haben, stellt sich dieses Problem zunehmend auch für die eventnahen Teilbranchen. Im Bereich Veranstaltungswirtschaft, Musikwirtschaft und Darstellende Kunst fehlt es nicht nur an Fachkräften bei der Produktion und im Projektmanagement, sondern generell an Personal und Arbeitskräften, da diese während der Pandemie in andere Wirtschaftsbereiche abgewandert sind. Im Buchmarkt und im Kunsthandwerk wirken sich, wie bei den anderen Teilmärkten auch, die geburtenschwachen Jahrgänge auf die Fachkräftegewinnung aus. Erschwerend hinzu kommt bei diesen beiden Teilmärkten das Problem der Unternehmensnachfolge.
Nahezu alle Teilbranchen haben nach Aussagen ausgewählter Unternehmen eine Verschärfung der Situation während Corona erlebt. Insbesondere Aushilfskräfte und Minijober:innen im Service, der Gastronomie und dem Verkauf konnten vielfach nicht gehalten werden bzw. sind in andere Wirtschaftsbereiche abgewandert, haben sich neu orientiert. Dies trifft zum Teil auch auf Fachkräfte zu, da die meist kleinteiligen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht in der Lage waren, Beschäftigte während der Krise zu halten. Das gestiegene Bewusstsein für die Digitalisierung sowie die neue Bereitschaft von vielen Unternehmen anderer Branchen oder an anderen Standorten, Remote Work zu ermöglichen, verschärft den “War of Talents” insbesondere für die sächsischen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Gut ausgebildeten Fachkräften im Freistaat ist es so mittlerweile möglich, für Unternehmen in Westdeutschland zu arbeiten, die wesentlich bessere Gehälter zahlen können, ohne ihren Wohnort zu wechseln.
Egal in welcher Branche man demnach Unternehmen befragt: Es fehlen in nahezu allen Bereichen Personal, Fach- bzw. Arbeitskräfte. Insbesondere Fachpersonal mit Berufserfahrung von mindestens drei Jahren ist kaum mehr zu finden. Selbst Ausbildungs- oder Praktikumsstellen können aktuell nicht in ausreichendem Maße besetzt werden.
Die hier beschriebene Situation wird sich nach Angaben der befragten Unternehmen in den kommenden Jahren noch zuspitzen: Zu den Langzeitfolgen der Corona-Pandemie kommen nun die Auswirkungen der Ukraine-Krise hinzu. Auch der demografisch bedingte Mangel an Ausbildungsinteressent:innen (gerade im Werbemarkt, im Buchmarkt und im Kunsthandwerk) wird sich verschärfen. Für die künstlerischen Teilmärkte sorgt für weiteren Druck, dass steigende Kosten für Personal und Miete nur selten kompensiert werden können, da sich die Finanzierung oftmals aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt und auch auf Zuschüsse der öffentlichen Hand angewiesen ist.
Durch die Corona-Krise hat sich die Personal-, Arbeits- und Fachkräftesituation in der sächsischen Kultur- und Kreativwirtschaft insgesamt deutlich verschlechtert. Neben Teilmärkten, wie der Design- und Werbewirtschaft oder der Softwareindustrie, die schon vor der Pandemie mit Fachkräftemangel zu tun hatten, kommen jetzt weitere Branchen hinzu. Ausnahmen bilden teils Unternehmen, die in Ihrem Umfeld ein festes Kontingent an Freelancern haben, welche sie auftragsbezogen einbinden können. Hier scheint die Lage zwar dynamisch, aber stabil. Die Mehrheit der befragten Unternehmen hat jedoch jetzt schon mit deutlichen Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen.
Insbesondere zu nennen sind hier die eventnahen Branchen, bei denen der Fachkräftemangel schon im Sommer 2022 zu Konzert- und Festivalabsagen führte (BR24, 2022). Neben einem sich verschärfenden Trend fehlender Fachkräfte, der schon vor Corona z. B. im MICE Bereich (Meeting-, Incentive-, Konferenz- und Ausstellungsbranche) existierte (TU Chemnitz, 2018), kommen nun die unmittelbaren Folgen der Pandemie zum Tragen. Besonders in der Musikwirtschaft, aber auch im Bereich der darstellenden Künste, könnte sich das Problem langfristig negativ auswirken. Der akute Fachkräftemangel und die daraus resultierenden Veranstaltungsabsagen schwächen die Einnahmensituation zu einer Zeit, in der Nothilfeprogramme wie Neustart Kultur verfügbar sind und Verluste zumindest anteilig kompensieren. Diese laufen jedoch im Herbst / Winter 2022 größtenteils aus. Die Betriebskostenzuschüsse im Rahmen der Überbrückungshilfen sind bereits seit Sommer nicht mehr beantragbar. Die angespannte wirtschaftliche Lage der Unternehmen und Institutionen trifft voraussichtlich auf neue Corona-Maßnahmen (SWR, 2022), die den Betrieb nicht erleichtern. Der aktuelle Fachkräftemangel trägt zu einer weiteren Verschärfung der Lage bei.
In nahezu allen Teilbranchen der sächsischen Kultur- und Kreativwirtschaft ist in den kommenden Jahren eine Verschlechterung der Verfügbarkeit von Personal, Fach- und Arbeitskräften zu erwarten. Die Corona-Krise, aber auch die aktuelle Situation in der Ukraine und die damit verbundenen Auswirkungen belasten die Situation ganz aktuell. Der demografische Wandel, die aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge weniger verfügbaren Nachwuchskräfte und der zunehmende Kostendruck durch Preissteigerungen wirken sich in den kommenden Jahren noch stärker aus.
Die sächsischen Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft sehen sich zunehmend einer Konkurrenz um Fachkräfte mit Unternehmen anderer Branchen, aber auch kultur- und kreativwirtschaftlichen Unternehmen, insbesondere aus Westdeutschland, ausgesetzt. Insbesondere in den künstlerisch geprägten Teilbranchen, die eng mit dem intermediären und öffentlichen Kultursektor verbunden sind, drohen zudem Mittelkürzungen und Einsparungen, die diese Sparten zusätzlich vor große Herausforderungen stellen. Eine Entspannung der Situation sehen Teile der Befragten lediglich an urbanen Standorten, wie Leipzig oder Dresden, welche für potenzielle Arbeitskräfte attraktiver wirken. Die meisten Befragten stimmen darüber überein, dass gezielte Maßnahmen kurz-, mittel- und langfristig zur Verbesserung der Situation beitragen könnten.
Maßnahmen, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken können, lassen sich grob in zwei Bereiche einteilen. Zum einen sind dies Vorhaben, die die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen selbst umsetzen sollten. Zum anderen sind dies Schritte, die staatlicherseits ergriffen werden sollten, um kurz-, mittel- und langfristig die Situation zu verbessern und so eine Zukunft für den Wirtschaftsstandort Sachsen zu ermöglichen.
UNTERNEHMERISCHE HANDLUNGSANSÄTZE
Bei den Maßnahmen in den Unternehmen selber steht als erstes die Ausbildung eigener Fachkräfte. Zudem wurden als wichtige Punkte genannt, Haltefaktoren für vorhandenes Personal zu schaffen, wie bspw. ein positives Betriebsklima und eine familiäre Umgebung, aber auch berufliche Entwicklungschancen, interessante Aufgaben und Projekte, ein Feel Good Management sowie Weiterbildungsangebote. Zudem können sogenannte Fringe Benefits (finanzielle und nicht-finanzielle Nebenleistungen) einen Anreiz bieten.
FÖRDERSPEZIFISCHE HANDLUNGSANSÄTZE
Maßnahmen, die durch Politik und Verwaltung, ggf. auch durch Berufsverbände, zu realisieren sind, bieten sich in unterschiedliche Handlungsfeldern an: Im Bereich der Ausbildung und Qualifizierung wird der Ausbau von Bildungsangeboten auch in der Fläche sowie die Schaffung von Ausbildungsangeboten in neuen Berufsfeldern empfohlen. Auch die Qualifizierung von betrieblichen Ausbilder:innen und die Schaffung von Qualifizierungsangeboten für Quereinsteiger:innen kann demnach eine Verbesserung der Situation bewirken. Insbesondere die Integration von Anforderungen neuer Berufsfelder in die schulische Bildung (vor allem Digitalisierung) wird als langfristige Maßnahme benannt.
Für den Bereich der Gründung und Nachfolge wird die Unterstützung bei der Gründung kultur- und kreativwirtschaftlicher Unternehmen sowie Unterstützung bei der Nachfolge von Betrieben in der Kultur- und Kreativwirtschaft – z. B. Nachfolgebörsen – gefordert.
In Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen würde eine Vereinfachung von Regelungen im Bereich Homeoffice, Remote Work und grenzüberschreitendes Arbeiten unterstützend wirken. Insbesondere für die künstlerischen Teilbranchen ist zudem die Förderung der Infrastruktur für Künstler:innen, z. B. Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten von großer Bedeutung.
Als weiteres zentrales Handlungsfeld wird die Sichtbarkeit sowie das Image von Beschäftigungsmöglichkeiten in der sächsischen Kultur- und Kreativwirtschaft genannt. So sollte grundsätzlich die Standortattraktivität in sächsischen Städten und Gemeinden für Mitarbeiter:innen kultur- und kreativwirtschaftlicher Unternehmen steigen. Auch Jobkampagnen für Berufe in der Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen könnten helfen, Fachkräfte zu gewinnen. Instrumente wie Jobbörsen sowie die Attraktivitätssteigerung für Rückkehrer:innen tragen ebenfalls zu einer Verbesserung der Situation bei.